App-Zwang und digitale Kontrolle
Die fortschreitende Digitalisierung bringt erhebliche Veränderungen im täglichen Leben der Verbraucher mit sich. Viele dieser Entwicklungen werden als Fortschritt oder Erleichterung des Alltags beworben. Doch unter der Oberfläche verbirgt sich eine Realität, die zunehmend von Zwang und Abhängigkeit geprägt ist. Besonders auffällig wird dies beim sogenannten „App-Zwang“. Dieser Zwang beschreibt eine Situation, in der Nutzer gezwungen sind, spezifische Apps zu installieren, um grundlegende Dienstleistungen in Anspruch nehmen zu können, die zuvor auf alternativen Wegen zugänglich waren. Die zunehmende Verlagerung von Dienstleistungen auf spezifische mobile Anwendungen wirft kritische Fragen auf – nicht nur in Bezug auf den Datenschutz, sondern auch hinsichtlich der Kontrolle über die Daten der Nutzer, der Wahlfreiheit und der Selbstbestimmung im digitalen Raum.
Der Zwang zur Nutzung von Apps: Erleichterung oder Einschränkung der Wahlfreiheit?
Viele Anbieter, darunter Banken, Bonusprogramme und Dienstleistungsunternehmen, zwingen Verbraucher indirekt oder direkt zur Nutzung von Apps. Ein prominentes Beispiel ist der Bankensektor, in dem Online-Banking ohne die Installation der institutseigenen App oft gar nicht mehr möglich ist. Authentifizierungsverfahren wie die Zwei-Faktor-Authentifizierung (2FA) werden mittlerweile fast ausschliesslich über Apps abgewickelt. Wer nicht bereit ist, die App der Bank zu nutzen, steht vor erheblichen Einschränkungen oder zusätzlichen Kosten für alternative Verfahren. Die Entscheidung, das eigene Smartphone als „Schlüssel“ für derartige Dienstleistungen zu nutzen, wird den Kunden faktisch abgenommen. Während manche Institute für alternative Zugänge wie Hardware-Tokens teils saftige Gebühren erheben, wird der Weg über die App zum „alternativlosen“ Mittel gemacht. Beispielsweise bei der BKB Kostet der Hardware-Token, selbst für langjährige Kunden, 35 Franken. Die Lieferung erfolgte ebenfalls so spät, das ich Mahnungen erhielt. Kundenservice 2.0
Dieser „App-Zwang“ beschränkt sich nicht auf Banken. Auch zahlreiche Einzelhändler und Bonusprogramme, funktionieren zunehmend ausschliesslich über Apps. Damit sind Verbraucher, die aus Gründen des Datenschutzes, des Energieverbrauchs oder der technischen Fähigkeiten keine App installieren möchten oder können, faktisch von wesentlichen Dienstleistungen ausgeschlossen. Rabatte und Boni werden über App-basierte Programme gesteuert, und klassische Kundenkarten verschwinden zunehmend zugunsten digitaler Varianten, die nur über mobile Endgeräte verfügbar sind. Verbraucher, die nicht bereit sind, ihre Informationen durch spezifische Apps freizugeben, werden im digitalen Alltag benachteiligt – eine Entwicklung, die Fragen zur Diskriminierung und Ungleichbehandlung aufwirft.
Datenschutzrechtliche Herausforderungen: Die Zwangsabhängigkeit von Tech-Giganten
Eine der gravierendsten rechtlichen Problematiken des App-Zwangs betrifft den Datenschutz. Der Zwang zur Nutzung spezifischer Anwendungen bedeutet für Nutzer eine unweigerliche Bindung an die grossen Plattformen, auf denen die Apps bereitgestellt werden – primär Apple und Google. Die Installation einer App auf Geräten mit den Betriebssystemen iOS oder Android setzt voraus, dass der Nutzer ein Konto beim jeweiligen Plattformanbieter besitzt und dessen Bedingungen akzeptiert. Diese Bindung führt zu einer vermehrten Aggregation personenbezogener Daten bei den Tech-Giganten, da Informationen über die Nutzung der Apps, Standortdaten, Nutzungsgewohnheiten und Präferenzen gesammelt und für diverse Zwecke verarbeitet werden können. Während dies den Unternehmen eine umfassende Datenbasis und damit ein hohes Mass an Kontrolle über Nutzer und deren Verhalten ermöglicht, verlieren die Anwender zugleich die Souveränität über ihre eigenen Daten.
Hinzu kommt, dass Alternativen zu den Monopol-Plattformen – etwa der Download von Apps über Drittanbieter – kaum unterstützt werden und häufig funktional eingeschränkt sind. In der Praxis bedeutet dies, dass Nutzer sich den Vorgaben der grossen Konzerne beugen müssen, wenn sie grundlegende Dienste nutzen wollen. Der Zwang zur Nutzung bestimmter Apps und Plattformen setzt einen Mechanismus in Gang, der die Wahlfreiheit der Nutzer erheblich einschränkt und sie in eine strukturelle Abhängigkeit von Tech-Giganten zwingt. Diese Abhängigkeit steht nicht nur im Widerspruch zur Idee der informationellen Selbstbestimmung, sondern birgt auch die Gefahr eines Missbrauchs der so erlangten Datenmacht.
Verlust der digitalen Selbstbestimmung und die Rolle des Gesetzgebers
Durch den erzwungenen App-Zwang droht ein erheblicher Verlust der digitalen Selbstbestimmung der Nutzer. Personen, die bewusst alternative Dienste bevorzugen oder auf Open-Source-Lösungen und browserbasierte Alternativen setzen, verlieren zunehmend den Zugang zu alltäglichen Dienstleistungen. Die Monopolisierung und Standardisierung digitaler Prozesse durch einige wenige Anbieter führen zu einem System, in dem Nutzer auf bestimmte Technologien angewiesen sind und keine freien Wahlmöglichkeiten mehr haben. Die Plattformen von Apple und Google dienen nicht nur als Zugangspunkte für Anwendungen, sondern wirken auch als „Gatekeeper“, die die Kontrolle über die angebotenen Inhalte ausüben und gleichzeitig den Zugang zu alternativen Quellen beschränken.
Eine solche Marktsituation wirft die Frage auf, ob der Gesetzgeber gefordert ist, die digitalen Rechte der Nutzer zu schützen und Wahlfreiheit in der digitalen Infrastruktur zu sichern. Ein Ansatz könnte beispielsweise darin bestehen, Interoperabilitätsvorgaben für Apps und Plattformen gesetzlich zu verankern, die sicherstellen, dass alternative Anbieter und App-Quellen nicht blockiert oder benachteiligt werden. Die Schaffung rechtlicher Rahmenbedingungen, die die Verfügbarkeit datenschutzfreundlicher und quelloffener Alternativen sicherstellen, könnte ein erster Schritt sein, um den Einfluss monopolistischer Strukturen auf das digitale Nutzungsverhalten zu begrenzen.
Darüber hinaus könnte eine gesetzliche Regelung notwendig sein, die die verpflichtende App-Nutzung durch Anbieter von Grunddiensten wie Banken oder Behörden auf das absolut notwendige Mass reduziert. Verbraucher könnten durch eine Regelung, die ihnen die Wahl zwischen verschiedenen Zugangsmöglichkeiten – etwa via App, SMS oder klassischem Webzugang – einräumt, vor der „App-Diktatur“ geschützt werden. Solche Massnahmen wären geeignet, das Machtungleichgewicht zwischen grossen Technologieunternehmen und Verbrauchern auszugleichen und die Wahlfreiheit der Nutzer in einem immer stärker regulierten digitalen Umfeld zu wahren.
Kritische Betrachtung des geplanten E-ID-Systems in der Schweiz
Die Einführung der elektronischen Identität (E-ID) in der Schweiz ab 2026 ist Teil eines globalen Trends zur Digitalisierung von Identitätsnachweisen. Der Bundesrat hebt hervor, dass die E-ID die Identifikation sicherer, schneller und unkomplizierter gestalten soll, sowohl online als auch in physischen Interaktionen. Auch wenn die E-ID ein Versprechen für moderne und nahtlose digitale Prozesse ist, wirft sie gravierende Fragen auf, besonders im Hinblick auf Datenschutz, Freiheitsrechte und die staatliche Kontrolle über die persönlichen Daten der Bürger.
1. Datenschutz und die „Selbstbestimmte Identität“: Marketing oder Realität?
Das Konzept der „Self-Sovereign Identity“ – also die Hoheit des Nutzers über die eigenen Daten – wird als zentrales Versprechen der E-ID angeführt. Die Idee dahinter klingt zunächst vielversprechend: Eine dezentrale Datenspeicherung auf dem eigenen Smartphone, bei der nur der Nutzer entscheidet, wann und wofür die E-ID eingesetzt wird. Doch diese Aussage verdient einen genaueren Blick.
In der Praxis zeigt sich, dass die Gewährleistung echter Selbstbestimmung schwierig umzusetzen ist. Es bleibt fraglich, ob die Nutzer tatsächlich die volle Kontrolle über ihre Daten haben werden, wenn der Staat die Infrastruktur und Sicherheitsstandards festlegt. Sobald eine digitale Infrastruktur vorhanden ist, die Bürgerinformationen verwaltet, bestehen auch Schnittstellen, die potenziell von Behörden, Dienstleistern oder sogar Drittanbietern genutzt werden könnten, um auf persönliche Informationen zuzugreifen. Selbst wenn die Nutzung der E-ID technisch freiwillig sein mag, dürfte in der Praxis ein gewisser Nutzungsdruck entstehen, der den Bürger indirekt zur Teilnahme zwingt.
2. „Privacy by Design“ und das Prinzip der Datensparsamkeit: Sicherheitsvorkehrungen oder Augenwischerei?
Der Bundesrat betont, dass das E-ID-System „Privacy by Design“ berücksichtige und Datensparsamkeit anstrebe, sodass nur unbedingt erforderliche Datenflüsse zustande kommen sollen. Doch dieser Ansatz wirft ebenfalls Fragen auf. Einerseits ist die Vorstellung, dass ein System auf Basis von Datensparsamkeit operiert, lobenswert; andererseits gibt es keine Garantie, dass solche Prinzipien langfristig aufrechterhalten werden. Die Technologien, die ein hohes Mass an Datenschutz ermöglichen, entwickeln sich zwar weiter, aber auch die Begehrlichkeiten von Akteuren, Zugriff auf Daten zu erhalten.
Des Weiteren ist es fraglich, wie eine Kontrolle dieser Massnahmen durch unabhängige Institutionen gewährleistet werden soll. Die Sicherheit von E-IDs steht und fällt mit der Zuverlässigkeit der IT-Infrastruktur und den Vorgaben der Verwaltung. Unabhängige Prüfstellen, die datensparsame Praktiken und das Einhalten von „Privacy by Design“-Richtlinien überprüfen, müssten daher integraler Bestandteil dieses Systems sein.
3. Staatliche Herausgabe und die Rolle privater Unternehmen: Ein Widerspruch?
Dass die E-ID in staatlicher Hand bleiben soll, war eine klare Botschaft des Schweizer Volks nach der Ablehnung der ersten Gesetzesvorlage. Die Bürger wollten keinen Zugang ihrer Daten für privatwirtschaftliche Zwecke. Der Bundesrat respektiert das und schlägt vor, dass der Staat das System betreibt. Doch die Tatsache, dass kantonale und kommunale Behörden sowie private Unternehmen künftig die E-ID-Infrastruktur für eigene Zwecke nutzen können, deutet in eine andere Richtung. Dies könnte dazu führen, dass die E-ID mittelfristig zum Identitätsnachweis für verschiedenste private Dienstleistungen wird, vom Zugang zu Fitnessstudios bis hin zum elektronischen Fahrkartenkauf.
Auch wenn der Staat die Kontrolle über die Grundinfrastruktur behält, öffnen sich dennoch Türen für private Akteure, die in bestimmten Bereichen Zugriff auf die E-ID benötigen. Dies birgt das Risiko, dass kommerzielle Interessen in das System eingeführt werden und damit die staatliche Kontrolle über die Daten aufgeweicht wird. Ob die Nutzung der E-ID dann noch wirklich „freiwillig“ bleibt, ist fraglich, wenn digitale Identifikation zur Norm wird und für eine Vielzahl alltäglicher Transaktionen erforderlich ist.
4. Kosten und Nutzen der E-ID: Eine angemessene Investition?
Für die E-ID und die dazugehörige Infrastruktur sind im Zeitraum von 2023 bis 2028 rund 182 Millionen Schweizer Franken vorgesehen, und die laufenden Kosten ab 2029 werden auf etwa 25 Millionen Franken pro Jahr geschätzt. Diese Kosten werfen die Frage auf, ob der Mehrwert für die Bürger und die Effizienzgewinne für die Verwaltung in einem angemessenen Verhältnis stehen.
Zwar kann die E-ID die Digitalisierung der Verwaltung voranbringen und Prozesse effizienter gestalten. Dennoch steht diese Investition in einem Spannungsverhältnis zu den datenschutzrechtlichen und demokratischen Bedenken. Auch stellt sich die Frage, ob die Kosten der E-ID im Kontext des generellen Trends zu hohen Staatsausgaben für IT-Infrastrukturen und Datensicherheitsmassnahmen gerechtfertigt sind, insbesondere wenn Bürger ihre Datenhoheit möglicherweise nur eingeschränkt wahrnehmen können.
5. Der gesellschaftliche Druck zur Nutzung der E-ID: Droht eine schleichende Verpflichtung?
Der Bundesrat betont, dass die E-ID freiwillig sei, und sichert zu, dass alle Dienstleistungen des Bundes weiterhin auch auf herkömmliche Weise zugänglich bleiben. Doch in der Praxis könnte sich eine schleichende Verpflichtung zur Nutzung der E-ID entwickeln. Wenn staatliche Stellen und private Anbieter zunehmend auf die E-ID setzen, könnte die Bevölkerung sich indirekt gedrängt fühlen, die digitale Identität zu akzeptieren – einfach, weil dies als „einfachere“ oder „schnellere“ Option gilt.
Einmal eingeführt, könnte die E-ID zur Bedingung für den Zugang zu einer Vielzahl von Diensten werden, und eine digitale Identität könnte sich als „de facto“ Zwang herausstellen, da analoge Prozesse reduziert werden. Die Gefahr ist, dass Menschen, die keine E-ID nutzen wollen oder können, benachteiligt werden – ein Risiko, das den freiwilligen Charakter der E-ID infrage stellt.
Vorsicht vor dem digitalen Identitätsmonopol
Die geplante Einführung der E-ID in der Schweiz eröffnet einerseits Chancen zur digitalen Transformation und zur Effizienzsteigerung in Verwaltung und Dienstleistung. Andererseits birgt sie erhebliche Risiken, vor allem im Hinblick auf Datenschutz, die Unabhängigkeit von staatlicher Kontrolle und den gesellschaftlichen Druck zur Akzeptanz einer „freiwilligen“ digitalen Identität. Solange Bedenken bezüglich Datenschutz, Kontrolle und Transparenz nicht zufriedenstellend adressiert sind, bleibt die Einführung einer verpflichtungsähnlichen E-ID ein kritisches Unterfangen.
Es wäre ratsam, weitere Kontrollen und Schutzmechanismen in das E-ID-System einzubauen und ein transparentes Überwachungsregime zu etablieren, das sicherstellt, dass die Bürger ihre Datenhoheit nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch uneingeschränkt wahrnehmen können. Nur so könnte das Vertrauen der Schweizer Bevölkerung in die E-ID gewonnen werden – ein Vertrauen, das essenziell ist, wenn dieses System ein nachhaltiger Bestandteil der Schweizer Identitätslandschaft werden soll.
Fazit: Die Notwendigkeit eines kritischen Bewusstseins
Der App-Zwang ist nicht bloss ein Bequemlichkeitsfaktor moderner Digitalisierung; er zwingt Nutzer, sich an die Bedingungen und Anforderungen von Plattformen zu halten, die von wenigen grossen Konzernen kontrolliert werden. Dies hat nicht nur datenschutzrechtliche, sondern auch wirtschaftliche und gesellschaftliche Implikationen. Die Abhängigkeit von Apps und deren Plattformen verstärkt die Kontrolle über Nutzer und zwingt diese faktisch zur Preisgabe ihrer Daten und zur Anpassung an ein System, das durch monopolistische Strukturen geprägt ist.
Vor diesem Hintergrund ist es höchste Zeit, den App-Zwang kritisch zu hinterfragen und nach Alternativen zu suchen, die die digitale Selbstbestimmung wahren und die Nutzer vor einer übermässigen Abhängigkeit von Apple, Google und anderen Plattformanbietern schützen. Der Gesetzgeber könnte hier eine zentrale Rolle einnehmen, indem er Massnahmen zur Stärkung der Wahlfreiheit und der datenschutzrechtlichen Standards im digitalen Raum schafft. Ein solches Vorgehen würde sicherstellen, dass die Digitalisierung nicht auf Kosten der Freiheit und des Datenschutzes der Verbraucher voranschreitet, sondern diesen sogar aktiv fördert.
Das Ziel sollte eine digitale Infrastruktur sein, die eine freie Wahl zwischen verschiedenen Lösungen ermöglicht und gleichzeitig einen hohen Standard an Datenschutz und Datensouveränität wahrt. Solange der App-Zwang als „alternativlose“ Notwendigkeit des digitalen Alltags betrachtet wird, wird er zu einem Mechanismus der Kontrolle, der die Rechte und die Freiheit der Nutzer beschränkt. Ein Umdenken ist daher erforderlich, das sowohl den technischen Fortschritt als auch die Autonomie der Nutzer gleichermassen berücksichtigt.
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